Buchbesprechung: David duChemin – Die Seele der Kamera
Das Buch von David duChemin steht schon länger auf meiner Leseliste. Zahlreiche positive Kritiken in Printmedien und im Internet sowie das energische „das wäre doch was für Dich“ eines Fotofreundes haben dazu geführt, dass ich das 2017 in Erstauflage erschienene Buch nun endlich gelesen habe. Nur gelesen? Nein, ich habe es inhaliert, genossen – Wort für Wort.
Wer ist der Autor?
David duChemin ist kein Unbekannter. Der kanadische Fotograf hat unzählige – auch in Deutsch erschienene – Bücher geschrieben, er ist ein Weltreisender, ein Natur- und vor allem ein Menschenfreund – und er ist, wie dieses Buch beweist, ein Philosoph.
Als Profifotograf hat David sich in den Bereichen humanitäre Projekte und Weltfotografie einen Namen gemacht – auch wenn diese Karriere vielleicht so nicht vorprogrammiert war. Zwölf Jahre lang war er als Comedian unterwegs, ehe er begann, beruflich zu fotografieren.
Worum geht es?
In „Die Seele der Kamera“ hat David duChemin seine Philosophie eines guten Bildes zusammengefasst. Anders als dies in vielen anderen Ratgebern der Fall ist, geht es duChemin dabei allerdings nicht um einen technischen Ansatz. Er referiert also nicht, mit welchen Kameraeinstellungen ein Objekt, ein Mensch, eine Landschaft im Idealfall fotografiert werden sollte; auch findet der Leser keine Daten dazu, an welchen besonderen Orten zu welcher Tageszeit die besten Bilder zu machen sind. David duChemin setzt dieses Wissen beim Fotografen vielmehr voraus.
Sein Ansatz ist eher ein umgekehrter, wenn er fragt: wie schafft man es, im Angesicht technisch immer komplexerer Möglichkeiten und Unterstützungen zu einem Bild zu gelangen, das aus der Masse heraussticht? Zu einem Bild also, bei dem der Fotograf sich eben nicht auf die komplexen Möglichkeiten verlässt, die sich bieten und die – so zumindest meine Auffassung – zu immer ähnlicheren Bildern führen.
Man könnte es sich mit der Antwort leichtmachen und auf den ersten Satz des Buches verweisen. Wenn duChemin dort schreibt, dass wir (Menschen, Fotografen…) es sind, die das Menschsein, die Vorstellungskraft und die Poesie in unsere Fotos legen, dann bringt er damit zum Ausdruck, dass die beste Technik nichts nützt, wenn wir nicht in der Lage sind, mit den Bildern Geschichten zu erzählen, mit denen wir direkt aufs Herz des Betrachters zielen.
Technik ist dabei durchaus nicht unwichtig: so wie ein Pianist ein gut gestimmtes Klavier benötigt, benötigen wir Fotografen eine ausgereifte Technik. Aber dem Pianisten wird das gut gestimmte Klavier nicht reichen, um die Goldberg-Variationen von Bach fesselnd zu interpretieren. Was er dazu braucht, ist Herzblut, sind Emotionen. Ebenso wenig wird es dem Fotografen gelingen, ohne eine Vision und ohne auf das Herz des Betrachters zu zielen ein „gutes“ Bild zu fertigen.
Das Buch ist keine leichte Kost, es ist keine Lektüre, die man mal eben auf die Schnelle in der U-Bahn oder im Wartezimmer einer Arztpraxis verschlingt. Es will vielmehr erarbeitet werden, man braucht Zeit und Muße, um in die Gedankenwelt des Autors einzudringen.
Wie ist das Buch aufgebaut?
Abgesehen von einer Einleitung, einem Fazit und einem umfassenden Index besteht das Buch aus 24 Kapiteln, nämlich:
- Die Rolle der Technik
- Die Entdeckung des Sehens
- Achtsamkeit in der Sprache
- Die Bereitschaft zur Interpretation
- Die nötige Aufgeschlossenheit
- Geduld
- Den Moment erfassen
- Respekt gegenüber dem kreativen Prozess
- Die Bereitschaft zum Loslassen
- Seien Sie neugierig!
- Improvisation
- Brechen Sie mit der Perfektion
- Die Suche nach der Geschichte
- Die Rolle des Publikums
- Die Verweigerung von Vergleichen
- Authentizität
- Kritik
- Ohne Liebe geht es nicht
- Mut
- Die Absage an Regeln
- Ein (sich verändernder) Blick für das Schöne
- Disziplin
- Nach der Kamera
- Das Streben nach Meisterschaft
Jedem Kapitel vorangestellt ist eine Kernaussage des folgenden, jeweils nur wenige Seiten langen Textes. Im Anschluss folgen Fotos des Autors, bei denen – man kann es sich nach dem zuvor Gesagten denken – bewusst auf die Wiedergabe technischer Aufnahmedaten verzichtet wird. Die Bilder sollen für sich stehen, sie sollen wirken und dem Leser und Betrachter Gelegenheit geben, über das zuvor Gelesene zu reflektieren und so den eigentlichen Lernprozess auf dem Weg zum „Bild mit Seele“ fördern.
Für wen ist das Buch?
Ich habe in einigen Rezensionen gelesen, dass es sich um ein gutes Buch für den Einstieg in die Fotografie handelt. Dieser Aussage möchte ich widersprechen. Der Einstieg in die Fotografie kann nach meinem Dafürhalten nicht ohne technisches Basiswissen erfolgen. Fotografische Neulinge müssen ihr Handwerkszeug beherrschen, ehe sie sich auf die Reise in die philosophischen Tiefen der Fotografie begeben. Für mich ist es ein Buch für den fortgeschrittenen Fotografen, für denjenigen, der Erfahrung im Umgang mit seiner Kamera und mit den Lichtverhältnissen sowie – im Falle der Menschenfotografie – mit seinem Model mitbringt. Wer Bereitschaft hat, sich auf die Gedankenwelt von David duChemin einzulassen und sich das Buch zu „erarbeiten“, der wird einen großen Gewinn aus der Lektüre ziehen und mit einem anderen Blick an seine künftigen Fotoprojekte herangehen.
Eine Empfehlung?
Absolut! Gerade dann, wenn man sich schon länger als Fotograf betätigt hat und meint, vermeintlich alles „abfotografiert“ zu haben, sollte man sich mit der Seele der Kamera beschäftigen. Wer Inspiration und Motivation für eine Auseinandersetzung mit der Fotografie als Kunstform sucht, ist hier gut beraten.
Die Daten:
David duChemin: Die Seele der Kamera
dpunkt-Verlag, 1. Auflage 2017
Gebunden, 288 Seiten
Preis: 29,90 € (gebundene Ausgabe) bzw. 26,99 € (EBook); auf der Homepage des dpunkt-Verlags ist das Buch auch als Bundle (Digital und Print) zum Preis von 34,90 € zu erwerben.
0 Kommentare