StreetArt – Interview mit Denis Klatt

15. März 2024

StreetArt im Ruhrgebiet

Sie sind allgegenwärtig im Ruhrgebiet: große, bunte Bilder, die Häuser und Mauern verzieren – die Rede ist von StreetArt. Es ist noch gar nicht lange her, dass Politik und Verwaltung diese Kunstform für sich entdeckt hat. Gerade im Ruhrgebiet, wo trotz aller Bemühungen der Nach-Bergbau-Zeit immer noch viele Ecken grau und trostlos sind, gewinnt immer mehr die Idee Überhand, dass bunte Wände echte Eyecatcher sein können. StreetArt ist gut für das Stadtmarketing, die Bilder sorgen international für Aufmerksamkeit und ziehen neben Touristen auch Kunstinteressierte an, die sich auf StreetArt-Festivals mit Gleichgesinnten und Kennern der Szene austauschen. Aber auch Anwohner und Passanten werden gewollt oder ungewollt mit Kunst konfrontiert – mit Bildern, die irritieren, zum Nachdenken und Träumen einladen, die Geschichten erzählen und den Betrachter in einen Dialog verwickeln – oder die einfach nur Freude bereiten, weil sie das Leben bunter machen. In vielen Städten machen inzwischen kleinere Geschäfte, Cafés oder Restaurants mit StreetArt auf sich aufmerksam. Selbst große Unternehmen nutzen die Macht der riesigen Bilder und werben mit ihnen zum Beispiel auf der eigenen Fassade für teure Eigentumswohnungen. Man mag das als Mainstream kritisieren – was aber bleibt, sind schrill-bunte Farben, die sich wohltuend vom Einheitsgrau mancher Vorstädte abheben.

Denis Klatt, 1978 in Bergkamen geboren und seit vielen Jahren in Dortmund zuhause, hat schon früh die Leinwand und Kunstgalerie gegen Wände in Städten auf der ganzen Welt eingetauscht. Wer mit offenen Augen durch das Ruhrgebiet läuft, wird an seinen Bildern nicht vorbeikommen. Die allermeisten sind entstanden in enger Kooperation mit Städten oder Gemeinden, die mittlerweile händeringend nach verfügbaren Flächen für die kreativen Ideen von lokal oder international bekannten Künstlern suchen.

Denis, erzähl mal über die Anfänge Deiner StreetArt, was waren die ersten größeren Projekte?

Der Wal im Hafen war eines meiner ersten richtig großen Projekte. Ich hab in dem Haus, auf dem er gemalt ist, mein Atelier, da hab ich einfach mal meinen Vermieter gefragt, der hat sein Okay gegeben und so ist der entstanden. Relativ schnell sogar damals, ich glaube das waren 28 Stunden, da war der fertig. Das nächste ist ebenfalls eher zufällig entstanden. Ich habe zum Beispiel irgendwann mal aus dem Fenster meiner Wohnung geguckt und hab gesehen, dass die Wand eingerüstet ist. Da habe ich meinen Nachbarn angesprochen, der wiederum hat seinen Vermieter angesprochen und war mir mit dem eigentlich schnell einig.

Und der Eigentümer war tatsächlich spontan bereit, Geld dafür zu bezahlen?

Bedingt. Das coole war, dass wir von der Stadt Dortmund Fördermittel bekommen haben, sodass das für den Eigentümer fast kostenlos war. Es war der Anfang von Corona, vieles lag brach und die Stadt konnte vor allem für kulturelle Dinge die Fördermittel nicht ausgeben. Ich hatte das Gefühl, dass denen ganz gelegen kam, die Fördergelder unter die Leute zu bringen. Am Ende war das für alle eine win-win-Situation.

Ist das die Regel, dass Du auf die Eigentümer oder auf die Stadt zugehst für Deine Projekte?

Eher nicht, nein. Die Städte melden sich eher selten mit einem Auftrag bei einem. Der Kontakt geht eher von Privaten aus, die mich ansprechen. Oder aber ich gehe auf jemanden zu und frage, ob ich was für ihn malen kann, mache ihm ein Angebot. Oder ich male auf Festivals, das geht dann in der Regel so, dass eine ganze Stadt in einem Stadtteil oder so Wände zur Verfügung stellt und mehrere Künstler gleichzeitig malen.

Seit wann machst Du das alles?

Sprühen tu ich schon seit 1994, ich bin ja eigentlich Graffiti-Sprüher. Ich habe die ganze Geschichte einmal durch. 1999 habe ich mit Skulpturen und Malerei angefangen, 2006 fing es dann an mit StreetArt. Kleine Bilder in Industrieanlagen und so. Damals gab es noch gar keine legale StreetArt, man musste halt gucken, ob man irgendwo in einer alten Industriebrache eine Wand findet, auf die man was malen konnte. Na ja, und irgendwann schnappt einer Deinen Namen auf, man wird auf irgendwelche Festivals eingeladen. Ich bin ziemlich früh im Iran gewesen, auf einem Festival. Da war es eine Industriebrache, die hoch offiziell bemalt werden sollte. Cool daran war, dass man im Grunde auf nichts Rücksicht nehmen musste, man konnte komplett frei malen, weil klar war, dass das hinterher wieder abgerissen wird.

Wie frei bist Du denn in Deiner Gestaltung, wenn Du hier im Ruhrgebiet malst?

Da muss man schon viel Rücksicht nehmen. Wenn ich hier male, dann ist das ja im Grunde frei für jedermann zugänglich, das heißt, dass ich schon eingeschränkt bin in der Motivwahl und nicht alles malen kann.

Reden Dir die Auftraggeber bei der Gestaltung der Motive rein?

Das ist sehr unterschiedlich. Nimm mal das Beispiel, dass die Stadtwerke Bochum einen Künstler sucht, der eine Hauswand oder auch nur einen Stromkasten gestalten soll. Wenn die bei ihrer Suche auf mich stoßen, sehen die natürlich schon, in welchem Stil ich male und wenn die mich dann engagieren, dann wollen die natürlich auch was in diesem Stil haben. Manchmal gibt es auch ganz konkrete Aufträge, die mir sehr genau sagen, dass sie bestimmte Elemente auf den Bildern haben wollen. Das ist dann immer noch meine künstlerische Umsetzung, allerdings eben mit den Objekten, für die ich beauftragt worden bin.

Das schränkt Dich künstlerisch ein?

Na ja, in gewisser Weise schon. Andererseits sind es Aufträge, von denen ich ja auch lebe. Ich denke, dass das jeder Dienstleister kennt, dass er nicht immer 1:1 das umsetzen kann, was er selbst will. Aber das ist auch okay, solange ich noch ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit habe.

Wie lange dauert das vom Auftrag bis zum Start eines Paintings?

Das geht eigentlich relativ fix. Ich plane das am Tablet, auf dem ich mir die Collagen zusammensetze. Das gilt auch bei meinen freien Arbeiten. Anders ist das nur beim normalen Graffiti-Sprühen. Wenn ich irgendwo eine legale Wand kenne, die ich bemale, da plane ich nicht – da lasse ich meiner Fantasie freien Lauf.  

Was bedeutet es Dir, speziell im Ruhrgebiet zu arbeiten? Du könntest das doch auch in Berlin oder Hamburg tun.

Im Prinzip schon, zumal sich Berlin, Hamburg und das Ruhrgebiet in gewisser Weise ähneln. Aber Ruhrgebiet ist halt meine Heimat, ich bin hier nicht nur aufgewachsen, sondern auch künstlerisch groß geworden. Meine ersten Projekte waren hier, damals noch als ich sehr jung war. Ich erinnere mich noch, dass ich mit meinen Kumpels mit dem Fahrrad von Bergkamen nach Dortmund gefahren bin, weil wir irgendwo eine Möglichkeit hatten, eine Wand zu besprühen. Das hat was von Freiheit, von Lebensgefühl gehabt. Ich krieg heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Du bist dann auch schnell bekannter geworden.

Na ja, da ging anfangs viel über Mundpropaganda. Das Internet war halt noch nicht so ausgeprägt und man hat sich die Tipps über neue und gute Künstler von Mund zu Mund weitergegeben. So ist aber auch damals schon ein riesengroßes Netzwerk entstanden, ganz ohne Instagram und so einen Kram. Das war sehr verbindend, und das war halt der Ruhrpott.  Die Wurzeln, die ich damals geschlagen habe, die spüre ich noch heute, deshalb bin ich dieser Region immer sehr verbunden geblieben.

Wie ist aus Deiner Sicht die öffentliche Wahrnehmung von StreetArt damals, zu Deinen Anfängen, und heute? Hat es da einen Prozess gegeben?

Auf jeden Fall, das war noch vor 20 Jahren deutlich konservativer als heute. Selbst gute Sachen galten damals oft als Schmierereien, und wenn man legal gemalt hat, dann musste das auf jeden Fall landschaftlich gemalt werden. Deshalb bin ich damals ja auch nicht gleich mit StreetArt angefangen, weil mir diese reine Landschaftsmalerei nicht so liegt. Ich hab meine Fantasie lieber sehr frei an Mauern ausgelebt. Natürlich immer nur an solchen, von denen ich wusste, dass sie am nächsten Tag abgerissen werden. Aber da konnte man halt weg von dem konservativen Stil malen, der damals bei vielen noch gewünscht war.

Hast Du eine Lieblingsfigur, die Du malst?

Wenn Du meine Bilder genau anguckst, wirst Du feststellen, dass fast immer ein Schlüssel und ein Schloss drauf sind. Wasser, alles rund um die Wasseroberfläche – das ist wohl der rote Faden, der sich in meinen Bildern wiederfindet.

Tiere fallen mir immer wieder auf: Blaukehlchen, Hammerhai, Pottwal, Manta, Flamingos, Qualle…

Ja, das liegt daran, dass ich immer wieder einen Bezug zu meinem normalen Leben suche.

Erklär das mal genauer.

Na ja, nehmen wir mal das Blaukehlchen. Das hab ich während des Corona-Lockdowns gemalt. Alles lag brach, auch die Kunst. Von meiner Wohnung aus gucke ich auf eine Baumkrone und da saß damals immer ein Blaukehlchen. An dem ging der ganze Corona-Wahnsinn komplett vorbei und ich habe angefangen, ein Bild mit dem Blaukehlchen zu planen und zu malen. Du siehst auf dem Bild zerbrochenes Glas, was ein Symbol ist vor allem für die brachliegende Kneipenszene damals. Ein Schatten vom Dortmunder U ist auf dem Bild, das steht für die Probleme in der Kultur damals, das Nashorn ist mit Flügeln das Stadt-Symbol von Dortmund, aber da fehlen die Flügel, sie sind gestutzt… Alles steht still, aber das Blaukehlchen interessiert das nicht.

Wie war das bei dem Manta?

Der Manta ist entstanden, als die Opel-Werke in Bochum geschlossen wurden. Auf dem Bild ist ein Opel Manta, der steht für die Vergangenheit, der Manta-Fisch passte dann halt zu dem Opel Manta. Da ist noch viel mehr Symbolik auf dem Bild, das Kopfsteinpflaster zum Beispiel oder der kleine Cursor, das hat für mich schon alles eine Bedeutung und der eine oder andere kennt die Geschichte dahinter.

Ist es Dir wichtig, wo die Wand steht, die Du bemalst?

Total. Ich habe jetzt eine Wand bemalt, die sieht der Auftraggeber aus seinem Schlafzimmer, wenn er im Bett liegt. Der kann sich das für sich leisten, das nur für sich zu machen, aber das sieht sonst keiner. Ähnlich die Flamingos in Bochum, die sind leider auch ziemlich abgelegen in der Malteserstraße. Das ist schön für die Anwohner, vielleicht hat es in der kleinen Straße auch was erreicht – aber als Künstler finde ich natürlich schön, wenn ich möglichst viele Menschen erreiche.

Was bedeutet es, dass Deine Kunst vergänglich ist?

Auch das spielt eine große Rolle, aber im positiven Sinne. Alles ist vergänglich – und schon in dem Moment, in dem ich ein Gebäude anmale, weiß ich, dass es irgendwann mal abgerissen wird. Das ist das Leben.

 

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